Stay in the know
We’ll send you the latest insights and briefings tailored to your needs
Warum der Fußball nicht nur Fans, sondern auch Nachhaltigkeit und Menschenrechte bewegt – ein Erfahrungsbericht nach der UEFA EURO 2024 in Deutschland
Nach dem "Sommermärchen" der WM 2006 war die UEFA EURO 2024 das nächste große Turnier in Deutschland. In 10 Stadien wurden 51 EM-Spiele ausgerichtet, 24 Nationalmannschaften kämpften um den Titel des Europameisters 2024. Mit 2,6 Millionen Menschen in den Stadien und mehr als 6 Millionen in den Fanzonen gab es viel zu planen und zu bedenken. Dazu gehörte auch ein umfassendes Nachhaltigkeits- und Menschenrechtskonzept.
Wir haben mit Andreas Mex Schär, einem der beiden Geschäftsführer der EURO 2024 GmbH, und Sylvia Schenk, Consultant bei Herbert Smith Freehills und Mitglied des UEFA EURO Human Rights Boards, über ihre praktischen Erfahrungen mit Nachhaltigkeit und Menschenrechten bei diesem Großereignis und über die Rolle des Sports als Impulsgeber und Antreiber für staatliche und gesellschaftliche Nachhaltigkeitsentwicklung gesprochen. Im Zentrum stand, was Unternehmen hieraus für ihre Nachhaltigkeitsstrategien ableiten können.
Andreas Schär:
Das hat eine sehr große Rolle gespielt und wir hatten auch eine gewisse Ambition, unseren Beitrag dazu zu leisten. Auch das Bundesministerium des Innern (BMI) hatte hierzu hohe Erwartungen an uns. Für die drei Bereiche E (Environmental), S (Social) und G (Governance) haben wir 11 Felder definiert, in denen wir entsprechende Maßnahmen getroffen haben. Die dazugehörige Auswertung läuft noch, der Abschlussbericht wird am 1. November 2024 auf dem DFB Campus in Frankfurt präsentiert.
Die UEFA hat zudem eine globale Nachhaltigkeitsstrategie 2030. Bei der Vergabe der Europameisterschaft an Deutschland hat auch der Nachhaltigkeitsaspekt eine zentrale Rolle gespielt. Einige Ziele der Nachhaltigkeitsstrategie wollten wir auch schon 2024 umsetzen und nicht bis 2030 schieben.
Die Unterbringung und Umsetzung dieser Themen war eine große Herausforderung, da die UEFA ein internationaler europäischer Verband ist, in dem verschiedene Kulturen aufeinandertreffen. Von Portugal bis Kasachstan und von Island bis Israel: Alles muss miteinander vereint werden und wir müssen mit allen reden und alle berücksichtigen. Dabei geht es nicht nur um die großen Themen, sondern auch um Interessen Einzelner – Städte, Stadionbetreiber, Interessenverbände usw.
Sylvia Schenk:
Bei der EURO 2024 waren schon in den Bewerbungskriterien die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte enthalten. Für die Städte haben sich die Oberbürgermeister im Rahmen der Bewerbung mit ihrer Unterschrift zur Anwendung verpflichtet. Die Bundesregierung hat die EURO 2024 in ihrem Koalitionsvertrag unter den Aspekt der Menschenrechte gestellt. Vor dem Hintergrund der Diskussionen rund um die WM 2022 in Qatar sollte alles perfekt werden. An der Vorstellung, wie das konkret umgesetzt werden kann, fehlte es aber. An die Lieferkette wurde noch gedacht, andere Menschenrechtsthemen, zum Beispiel sexuelle Belästigung in den Stadien, mussten erst ins Bewusstsein kommen. Am Ende gab es in der Umsetzung zu viele Stakeholder, die alle unterschiedliche Erwartungen an die Vorgehensweise hatten und für Konfusion sorgten.
Andreas Schär:
Die UEFA hat ihr Nachhaltigkeitskonzept an neuen Standards ausgerichtet, unter anderem an den Leitprinzipien der Vereinten Nationen und den OECD-Leitlinien für Multinationale Unternehmen. In der EURO 2024 wurden diese Standards erstmals angewandt und sie sollen Bestandteil aller Aktivitäten der UEFA werden. Die Herausforderung bei einer solchen Großveranstaltung ist die Umsetzung an sich: Es ist eine Sache, wenn man eine Veranstaltung in einem Stadion in einer Stadt macht, aber natürlich noch einmal anders, wenn zehn Städte in sieben Bundesländern einbezogen sind. Hierbei ist der Föderalismus eine große Herausforderung mit dem Bund auf der einen und den Ländern auf der anderen Seite.
Zudem haben wir viele nur temporäre Lösungen gesehen, zum Beispiel bei Inklusion und Barrierefreiheit. Die großen deutschen Stadien sind in anderen Zeiten geplant und gebaut worden, in denen das keine Rolle gespielt hat. Für die EURO 2024 wurden dann Lösungen geschaffen, die man aber leider hinterher direkt wieder zurückgebaut hat, was wenig nachhaltig war. Nach außen meint man, Deutschland sei "ready to play" bei Nachhaltigkeit und Menschenrechten, was aber in der Praxis nicht der Fall war.
Beim ökologischen Aspekt der Nachhaltigkeit war es etwas einfacher. Zum Beispiel haben wir Ökostrom in den Stadien eingesetzt und das wird auch fortgeführt. Ein Stadion wird sogar künftig noch mit einer zusätzlichen Photovoltaik-Anlage ausgestattet. Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass jedes Ticket ein Kombiticket für den ÖPNV war. Im Gegenzug haben wir die Parkflächen für Autos eingeschränkt. Ein wichtiger Punkt waren auch Recycling und der Materialkreislauf. Es gab weniger große Werbebanner und wir haben mehr LED-Anzeigen genutzt. Nach der EURO 2024 hat uns ein großer Discounter die Plastik-Werbebanner abgenommen, um daraus Tragetaschen zu produzieren.
Wir sehen auch, dass unsere Sponsoren immer mehr auf Nachhaltigkeit setzen. Sie haben dort eigene Standards, auch durch ihre globale Ausrichtung, und es war ihnen wichtig, dass ihre Werte in der EURO 2024 untergebracht wurden.
Sylvia Schenk:
Man könnte sich fragen: Gibt es bei einem Sportereignis in Deutschland überhaupt Menschenrechtsthemen, um die man sich kümmern muss? Aber in der Gastronomie, im Sicherheits- und Reinigungsgewerbe, die bei der EURO eine große Rolle spielen, haben wir oft prekäre Arbeitsplätze, Ausbeutung von Menschen findet auch in Deutschland statt. Sexualisierte Gewalt, Rassismus und Diskriminierung, das alles gehört zu Menschenrechten, die man bei einer solchen Großveranstaltung im Blick haben muss. Hier fehlt uns ein umfassender Ansatz in Deutschland, diese Lücken müssen geschlossen werden. Durch die Nacharbeit zur EURO 2024 soll diese Herausforderung noch breiter in das Bewusstsein der Menschen gebracht werden.
Sylvia Schenk:
Zum einen kann auch der Sport nicht einfach sagen "Nach mir die Sintflut!" und heutige Anforderungen an Nachhaltigkeit ignorieren. Zum anderen ist die Frage: Welche Botschaft sendet die EURO? Es geht gar nicht darum, perfekt zu sein. Ob der Sport selbst zu 100% nachhaltig aufgestellt ist, macht nur einen sehr geringen Anteil aus und wird den Klimawandel nicht verhindern oder globale Menschenrechtsprobleme lösen. Es geht aber um die Botschaft, die so ein Ereignis mit der damit verbundenen medialen Aufmerksamkeit senden kann. Für Nachhaltigkeit und die systematische Achtung der Menschenrechte zu werben – damit können Sportgroßveranstaltungen einen wesentlichen Beitrag zum gesellschaftlichen Bewusstsein and damit zur notwendigen Transformation leisten.
Sylvia Schenk:
Die UEFA sowie die beteiligten Ministerien und Städte hatten nur wenig Erfahrung mit einem solchen Meldesystem. Der Aufbau eines Systems in einer solchen Größenordnung ist auch sehr komplex, vor allem, wenn es nur temporär eingerichtet wird.
Hinzu kam, dass das ausgewählte technische System entsprechend dem engen Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes, nur darauf ausgerichtet war, bestimmte Gesetzesverstöße zu melden. Viele Vorfälle bei einem Fußballturnier sind aber unterhalb der Schwelle eines Gesetzesverstoßes. Wenn das System das nicht beachtet, werden Hinweisgeber abgeschreckt. Dies ist auch für Unternehmen entscheidend, sie müssen Wert darauflegen, alle Arten von Hinweisen zu erhalten. Manche Kleinigkeiten zum Beispiel im Bereich sexualisierter Gewalt verstoßen nicht gegen ein Gesetz, können aber für die Unternehmenskultur toxisch sein. Unternehmen sollten sich bewusst sein, dass das Hinweisgeberschutzgesetz so eng ausgestaltet ist, dass die Orientierung allein am Wortlaut den dahinterliegenden Zweck nicht erfüllen kann.
Andreas Schär:
Anknüpfend an das, was Sylvia sagt, ist es innerhalb der Wirtschaft grundsätzlich wichtig, dass wir uns zu einer "speak up culture" entwickeln und nicht erst gemeldet wird, wenn es einen Gesetzesverstoß gibt. Dann ist es meistens schon zu spät.
Ein solches Hinweissystem ist jedoch in seiner Umfänglichkeit auch eine Kostenfrage. Die UEFA hatte die Möglichkeiten, ein umfassendes System bereitzustellen. So konnte man sehen, wo Trends entstehen, beispielsweise bei bestimmten Spielen gab es Fans, bei denen es eher zu Gewalt und Rassismus in der Fanzone kam. Wenn wir uns aber ein mittelständisches Unternehmen ansehen, wird dieses vielleicht sagen: Wir setzen das Hinweisgeberschutzgesetz so um, wie es im Gesetz steht und nicht umfangreicher, da die Kosten vielleicht auch einfach zu hoch sind.
Andreas Schär:
Wie vorhin schon angesprochen steht die Analyse noch aus, um zu bewerten, welche Dinge noch nicht so gut liefen. Dinge, die gut waren, werden wir weiter verbessern und für die kommende EURO 2028 mitnehmen. Man muss sich jedoch immer konkret fragen: Ist der Input skalierbar, oder bewirkt er am Ende nichts? Wo wird der gewünschte Effekt erreicht und wo ist er am Ende vielleicht zu klein? Das ist alles natürlich auch ein Budgetthema. Ich denke im Bereich "E" (Environment) sind wir ganz gut aufgestellt. Bei "S" (Social) gibt es noch die ein oder andere Verbesserungsmöglichkeit; da sind wir noch nicht ganz, wo wir sein könnten. Bezüglich "G" haben wir unsere interne Governance Policy, da kann man sich sicherlich auch noch verbessern. Mit der EURO 2024 haben wir eine gute Grundlage gelegt, auf die wir aufbauen können.
Sylvia Schenk:
Ich würde mir wünschen, dass sich die weltweite Sicherheitslage verbessert, sodass man sich mehr auf den Sport konzentrieren kann. Ich fürchte aber, dass dies in Zukunft eher noch schwieriger wird.
Andreas Schär:
Mehr Zeit für Mitarbeiter, um ein Nachhaltigkeitskonzept auszuarbeiten. Wir hätten die Leute noch mehr mitnehmen und für klare Verantwortlichkeiten sorgen können. Denn Nachhaltigkeit ist nicht teuer, das haben wir gesehen, und das ist auch das, was wir alle anstreben.
The contents of this publication are for reference purposes only and may not be current as at the date of accessing this publication. They do not constitute legal advice and should not be relied upon as such. Specific legal advice about your specific circumstances should always be sought separately before taking any action based on this publication.
© Herbert Smith Freehills 2024
We’ll send you the latest insights and briefings tailored to your needs